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Tantra, Yoga und Meditation für den Westen nach Francis King

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Viele Menschen des Westens behaupten von sich selbst, Tantriker zu sein oder mit tantrischen Einflüssen in Verbindung gekommen zu sein. Dabei, so sagt Francis King, praktizieren sie wilde Sexualpraktiken oder betreiben maßlosen Drogenkonsum und glauben von sich selbst, ein religiöses Motiv zu verfolgen. Diese selbstbezeichneten Tantriker sollte man mit äußerster Skepsis betrachten, denn sie haben nach King nicht den Sinn der Aussage im Tantra verstanden, der auf die innere Befreiung der vorhanden Energiepotenziale abzielt. Doch was macht einen wahren Tantriker aus? Gibt es Techniken, die jeder Tantriker beherrschen sollte? Und wenn ja, wie sehen diese aus?

Bei der Beantwortung dieser Fragen halte ich mich an den Schriftsteller Francis King und seiner Auslegung des Tantras für den Westen.

Ich werde mich am Anfang mit Pranayama (Atemkontrolle) beschäftigen und verschiedene Beispiele nach King geben, wie Pranayama von Übenden praktiziert werden kann. Danach werde ich mich mit den Visualisierungsprozessen nach King aueinandersetzen. Desweitern werde ich auf die Bedeutung des Mantras für das Ritual eingehen. Zum Schluss komme ich auf das Layayoga zu sprechen  und gebe ein Fazit ab.

Das Pranayama, also die Atemkontrolle, ist ein zentrales Element für das tantrische Ritual. Sie ist in der Vorbereitung für die Meditation wie in der Durchführung vorhanden und somit für einen Tantriker unbedigt erforderlich. Hier ein paar Ratschläge, die man vor der Ausübung der Atemkontrolle beachten muss:

1. Die Beherrschung des Pranayama erfordert monatelange Vorübungen, ehe man sie praktizieren kann.

2. Bei Asthma oder anderen Erkrankungen der Atemwege sollte man ärztlichen Rat suchen.

Zu Anfang sollte man mit folgender Übung beginnen: der Übende nimmt eine konstante bequeme Haltung ein. Die Haltung wird Asana, Sitz, genannt. Dabei sitz man mit einer aufrechten Haltung  auf einem Stuhl und legt die Hände auf die geschlossenen Knie. Diese bequeme Haltung sollte man zehn bis fünfzehn Minuten beibehalten und dabei eine Tiefenatmung, die eine Dauer von mindestens zehn Minuten betragen sollte, praktizieren. Die Tiefenatmung befasst sich mit dem Ein- (Purak) und Ausatmen (Rechack). Dabei sollte die Ausatmung doppelt so lange dauern wie die Einatmung. Zusätzlich könnte man dieses Vorgang im Geiste durch die Worte “der Atem strömt ein” und “der Atem strömt aus” unterstützen.

Wenn man diesen Vorgang beherrscht, kann man sich mit dem eigentlichen Pranayama beschäftigen. Das heißt, der Übende bricht in einigen Perioden das Ein- wie das Autatmen ab. Somit entsteht ein Intervall der Inaktivität, welches als Kumbhak (Atempause) bezeichnet wird. Der Übende hat die Wahl zwischen einem dreigliedrigen Pranayama Zyklus, bestehend aus Einatmung, Anhalten des Atmens und Ausatmung, oder eines viergliedrigen Zyklus, der aus Einatmen, Anhalten des Atmens, Ausatmung und Inaktivität bei geleerten Lungen besteht. Der Übende grenzt jede Sequenz der Atmung durch eine bestimmte und konstante Zählgeschwindigkeit ein. Für westliche Anwender hat sich die Zahl vier als traditionelle Methode bewährt. Hierfür eignet sich der Einsatz einer Stoppuhr zur exakten Zeitbegrenzung. Die Atemführungen dienen den Übenden zur Vorbereitung der anschließenden Meditation.

In der Golden- Dawn- Bruderschaft wird empfohlen, die Meditation durch Visualisierung zu unterstützen. Dafür bietet sich zum Beispiel in einer Phase der Würfel, in der Einfachheit seiner geometrischen Form, an. In einer anderen Phase sollte man sich das Symbol des Salzkristalles nutzen, um sich mit ihm zu identifizieren. Aus dem tattvischen Symbolismus könnte das Symbol des Salzkristalles eine energetische Aufladung des muladhara Chakra bewirken. Somit könnte die Möglichkeit bestehen, Kundalini aus ihrem Schlaf zu erwecken. Jedes Chakra hat seine speziellen Symbole. Durch Visualsierung dieser Symbole werden die ihn zugeordneten Chakren aktiviert. So ist zum Beispiel für das svadisthana Chakra das Symbol einer silbernen Mondsichel und für das manipura Chakra das Symbol eines gleichseitigen Dreiecks vorgesehen.

Das nächste Stadium des Pranayama ist die Mondatmung. Bei der Mondatmung wird ausschließlich durch das linke Nasenloch geatmet. Für den Anfänger ist es einfacher, die wechselseitige Nasenatmung zu befolgen und beide Nasenlöcher zu benutzen. Dabei atmet der Übende doppelt so lange aus wie ein. Die Ausatmungskapazität ist individuell vom Gesundheitszustand und der Lungenkapazität abhängig. Fortgeschrittene Praktizierende bringen die Atemmeditation auf eine Stunde, während es für Anfänger schwierig ist, sich zehn bis fünfzehn Minuten zu konzentrieren. Im Atemprozess wird der Übende bestimmte subjektive wie auch objektive Veränderungen wahrnehmen. Die Ursache für die subjektive Bewusstseinsänderung lässt sich durch eine Veränderung der Gehirnchemie erklären. Bedingt durch eine Schwankung des Kohlenstoffdioxidgehaltes des Blutes wird eine Wahrnehmungsveränderung möglich.

Ergebnisse der Atemübung können zum Beispiel sein:

1. Transpiration oder Schweißabsonderung

2. Muskelstarre

3. Buchari-siddhi (die magische Fähigkeit, wie ein Frosch zu springen)

4. Levitation

Aus der Abnahme des Kohlenstoffdioxidgehaltes des Blutes resultieren Veränderungen im Körper. Yogis behaupten, die siddhi Fähigkeit ist die Vorstufe der Levitation und somit mehr als erstrebenswert. Ziel der verschiedenen Atemtechniken ist eine Einkehr in den inneren Geist und somit den Ausschluss aller äußeren Einflüsse.

Um die Visualisierungsübungen zu ergänzen, kann man ein oder mehrere Mantras zur Unterstützung zitieren. Dabei ist die Aussprache eines Mantras willkürlich, die Bedeutung hingegen ausschlaggebend für den Wahrnehmungsprozess. Es ist dem Übende selbst überlassen, welches Mantra er zitieren möchte. Dabei könnte er westliche wie ‘orientalische’ Mantras zitieren. Wichtig ist die ständige Wiederholung eines Mantras und die Bewusstseinsveränderung, die es bewirken soll. Das Mantra bildet so die Vorraussetzung für individuelle, innere, mystische Erfahrungen. Aber wie ist sowas wissenschaftlich möglich?

Sinnliche Eindrücke, die auf das Gehirn einwirken, werden durch das Retikularsystem gefiltert. Durch eine ständige Wiederholung eines bestimmten Mantras wird die Aktivität der Neuronen reduziert, die Großhirnrinde wird blockiert und der Geist wendet sich zwangsläufig dem Inneren zu. Durch die spezifische Bedeutung jenes speziellen Mantras lässt die Aufmerksamkeit im Retikularsystem schneller nach und neue Bewusstseinszustände können ungehindert auf den Übenden einströmen.

Somit ist es auch für westliche Menschen nicht unüblich und sogar vom Vorteil, die Mantrarezitation mit Pranayama zu verbinden, um schneller eine Bewusstseinsverschiebung zu erreichen. Von Vorteil ist hierbei das einfache Mantra “Om”, welches sich problemlos mit Pranayama praktizieren lässt.

Außer dem Pranayama und dem Mantra spielt das Laya Yoga eine wichtige Rolle für die Praxis eines Tantrikers. Das Ziel des Laya Yogas ist die Erweckung der Schlangenkraft Kundalini, die ungenutzt am Ende der Wirbelsäule ruht. Kundalini muss durch alle Chakren hinaufsteigen, bis es zur Vereinigung von der Göttin Shakti mit dem Gott Shiva kommt. In diesem Zusammenhang stellt  die Schlange das weibliche Prinzip dar, welches mit Shakti in Verbindung gebracht wird. Erst durch die Vereinigung beider Prinzipien kann es zur einer absoluten Bewusstseinserkenntnis kommen.

Ein erfahrener Tantriker stellt sich im 1. Chakra, welches sich im Bereich des Perineums befindet, eine purporrote Scheibe vor. Diese stellt er sich so lange vor, bis er sie exakt visualisieren kann. Begleitend praktiziert er Pranayama. Hat er dieses Stadium erreicht, so versucht er Kundalani in seiner Vorstellung zu fokussieren. Wird diese Übung beherrscht, so dehnt er seine Vorstellungskraft auf die übrigen Chakren aus, die sich im Bereich des Herzens, des Ätherleibes, des Nackens und oberhalb des Kopfes befinden. Es entsteht ein Energiestrom, den der Tantriker in seiner vertikalen Fließrichtung hinauf über den Kopf verfolgt.

Jeder Tantriker berichtet von anderen Erfahrungen, jedoch sind alle, die  von so einem Erlebnis berichtet haben, sich in einem Punkt einig, dass die gesammelten Erfahrungen eine Bereicherung zur Erkundung des inneren Wesens sind. Demnach ist dieses als oberstes Ziels eines Tantrikers zu erstreben.

Letztendlich bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es kein Einheitsrezept für einen ‘wahren Tantriker’ gibt. Jeder praktiziert oder erlebt tantrische Rituale anders. Es gibt Kernelemente wie Pranayama oder Mantra, welche in fast allen tantrischen Ritualen vorhanden sind und meiner Ansicht von einem Tantriker beherrscht werden müssen. Aber wie genau sie ausgeführt werden und ob die Praxis der Mondatmung oder das Laya Yoga zur Findung der eigenen Identität führt, ist jedem individuell selbst überlassen. Wie gesagt, es führen in diesem Sinne viele Wege nach Rom. Letztendlich sollte nur die Erlangung des Ziels der mystischen Erfahrung und somit der Bewusstseinsveränderung zur Erkennung des inneren Selbst für einen Tantriker ausschlaggebend sein.

Quellenangabe: Francis King, Tantra als Selbsterfahrung, 1990, S.165-183.

Bilderquelle:

Bild 1

Bild 2

Bild 3


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