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Yoga in Deutschland

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Heidi Klum tut es! Julia Roberts tut es! Selbst Thomas Gottschalk tut es!

Und was ist mit Ihnen?

Natürlich spreche ich von der modernsten Sportart der Welt: Yoga!

Einführend soll eine kurze Erläuterung des mehrdeutigen Begriffs eine Annäherung an Yoga vereinfachen. Denn die meisten Menschen denken bei Yoga immer noch an komplizierte Körperverrenkungen und/oder südostasiatische Meditationskreise. Doch Yoga ist viel mehr!

Das Wort selbst kann im Sinne von “Anspannen” des Körpers an die Seele gesehen werden (angelehnt an das Wort “Yoga-h”, welches der Sanskrit Wortwurzel “yuj” entstammt), als auch “Zusammenfügung” (in Anlehnung an das Vereinen des individuellen Bewusstseins mit der universellen Seele) bedeuten. Zudem gehört Yoga zu den sechs klassischen Schulen der indischen Philosophie. Diese Schulen werden als Darshanas bezeichnet. Jede Schule zeigt einen Versuch auf, wie die Welt von einem gewissen Standpunkt aus gesehen werden kann. Allerdings führen bekanntlich mehrere Wege zur Gotteserkenntnis, deswegen gibt es im Hinduismus zahlreiche Namen für die verschiedenen Yoga-Wege. Alle traditionellen Wege streben jedoch als religiöses Ziel die Befreiung des Individuums aus dem Kreislauf der Wiedergeburten an, auch wenn ihre Praxen unterschiedlich sein können.

Kreislauf der Wiedergeburten

Kreislauf der Wiedergeburten

Die klassischen indischen Schriften beschreiben vier Yoga-Wege: 1. Raja Yoga: so nennen sich die meditativ orientierten Stufen  2. Jnana Yoga: Yoga der Erkenntnis  3. Karma Yoga: Yoga der Tat  4. Bhakti Yoga: Yoga der Verehrung Hinzu kommt das tantrische Yoga, in dem die Ganzheit des Menschen angesprochen wird. Hier wird der Übungsweg von Anfang an auf die Psyche und Physis gleichermaßen ausgerichtet. Der Ansatz des tantrischen Yoga ist es, das Körperliche wie das Geistige gleichermaßen in den Weg der Ganzwerdung des Menschen einzubeziehen. Es findet sich eine Dualität von Geist und Materie, von Shiva und Shakti wieder. Die Vereinigung der beiden Energien ist das Ziel des Tantrismus. Sie werden in der Symbolik auch ”Ha” (wie die Sonne) und ”Tha” (wie der Mond) genannt. Aus dieser Geisteshaltung entstand eine weit verbreitete Yoga Art: der Hatha Yoga. Wörtlich übersetzt bedeutet dies “gewaltsame Anstrengung”, “intensives Bemühen”. Hierbei soll der Kraftaufwand unterstrichen werden, der notwendig ist, um das eigentliche Ziel zu erreichen. Die Hatha Yogis versuchen, Herrscher über ihren eigenen Körper zu werden und haben meist eine außergewöhnliche Körperbeherrschung. Der Schwerpunkt beim Hatha Yoga liegt demnach auf dem körperlichen Aspekt und es wird beobachtet, dass die traditionellen, philosophischen Inhalte bei der Ausübung im Westen leider immer mehr in den Hintergrund rücken. Vermutlich deswegen, weil der immens körperliche Aspekt wie z.B. hier in Deutschland auf die Fitness- bzw. Gesundheitsmanie zurück geführt werden kann. Gerade für Berufstätige sollte es  möglich sein, Yoga auch schnell praktizieren zu können – zwischen Job, Familie, Freunden, Haus und Hof. So verlieren philosophische Aspekte schnell an Bedeutung und man fixiert sich auf das „Wesentliche“ und für Andere Sichtbare: den Körper.

Schauen wir kurz auf die (alte) Geschichte von Yoga, um uns danach mit dem Wachstum von Yoga in Deutschland zu beschäftigen. Feststellbar ist, dass es wenig gesichertes Quellenmaterial zu den Anfängen von Yoga gibt. Seit über 3500 Jahren soll Yoga allerdings als Übungsweg überliefert sein und gilt somit mehrheitlich auch als eine der ältesten Erkenntnislehren, die den Menschen in seiner Ganzheit sieht. Erste geschichtliche Hinweise auf Yoga waren Funde von Tonfiguren in typischen Yoga Positionen, wie z.B. ein gehörnter Gott mit verschränkten Beinen im Lotussitz. Sie stammen aus der Region des heutigen Pakistan und wurden zu Beginn des 20ten Jahrhunderts gefunden.

Als ab 1600 der Reiseverkehr nach Indien zunahm und einzelne Leute über ihre Reisen berichteten, wurde oftmals von dem sogenannten Fakirismus gesprochen. Indische Yogins und Entsager fielen genauso wie Bettler, Zauberer oder Akrobaten in diesen Begriff. So entwickelte sich ein verzerrtes Bild über den indischen Yoga. Teilweise bis in die Moderne blieb dieses Bild erhalten. Erst seit Mitte des 18ten Jahrhunderts bemüht sich die akademische Forschung um eine Aufbereitung des Themas und beschäftigt sich ebenso mit der Entschlüsselung der indischen Yoga Texte.

In den dreißiger Jahren wurde die erste Yoga Schule in Deutschland von Boris Sacharow eröffnet. Nach eigenen Angaben hatte Sacharow über 100 Schüler. Er lehrte aus der Überlieferung Svami Sivanandas (dieser gilt als Begründer vieler Yoga Richtungen, die sich von Indien aus über nahezu die ganze Welt verbreiteten). Durch Sacharow (und vereinzelt andere Lehrer in Europa) wurde in Deutschland ein neues Forum der Yoga Vermittlung verbreitet: eine eigenständige Institution, die regelmäßig – meist gegen Entgelt – praktischen Yoga vermittelt und zu der die Öffentlichkeit Zugang hat. Aber nicht nur auf diese Weise war die Vermittlung wegbereitend, sondern nun bedienten sich die Yogalehrer vorwiegend einer recht sachlichen Sprache und eines eher nüchternen Vermittlungsstils. Sie hoben vor allem auf die Funktionalität und die gesundheitliche Wirkung der von ihnen gelehrten Yoga Übungen ab.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde ein regelrechter Yoga Boom beobachtet, wobei die mystischen und spirituellen Aspekte nun fast gänzlich in den Hintergrund gerieten und die körperlichen, funktionellen Übungen deutlich überwogen. In den 70er Jahren wurde dann die “Europäische Yoga Union” gegründet und seit 1972 bietet der “Bund Deutscher Yogalehrer” sogar eine dreijährige Ausbildung zum Yogalehrer an. Die Verbände bemühen sich um eine Standardisierung und qualitative Sicherung der Ausbildung zum Yogalehrer. Damit einher geht vor allem auch der Versuch, staatliche Anerkennung zu erlangen. Wie man sieht, erfahren einzelne Bereiche der Yoga Praxis immer weitere Vertiefung. Yoga wird mittlerweile sogar mit therapeutischen Zwecken verbunden. Dies steht sicherlich auch im Zusammenhang  mit dem deutlichen Image- und Vertrauensverlust, den die westliche Medizin in den letzten Jahrzehnten in Kauf nehmen musste.

Schlussendlich sollten nun ein paar Zahlen in meiner “Yoga-Deutschland-Chronologie” folgen. 1989 und 2001 wurden von Christian Fuchs soziologische und quantitative Untersuchungen an deutschen Yoga Rezipienten durchgeführt. Er kam zu folgendem Ergebnis: Ende der achtziger Jahre gab es immerhin schon ca. 150 private Yoga Schulen, an denen 17.150 Schüler praktizierten. 2001 waren es schon 300 größere Schulen und 500 kleinere Yoga Schulen. Hinzu kamen 208.000 Personen, die an Volkshochschulkursen teilnahmen und den größten Kreis ausmachten. Eine allgemeine Hochrechnung ergab, dass etwa 350.000 Menschen in Deutschland zu dieser Zeit Yoga praktizierten. Bedenkt man die Dunkelziffer, vermutet Fuchs etwa 1 Million Yoga Schüler. 2011 gibt es Mutmaßungen, die in die 10 Millionen hinein gehen. Die Zahl der Yoga Verehrer wird größer und größer, schon allein dadurch, dass die Auslegung “was ist eigentlich Yoga?” stetig mitwächst. So existiert mittlerweile eine verwirrende Vielfalt von Yoga Richtungen und eine unüberschaubare Zahl von Schulen und es werden unaufhaltsam auch immer wieder neue Formen und Stile entwickelt, die dann insbesondere im Westen – so auch hier in Deutschland –  an Popularität gewinnen. Beispielsweise durch Erfahrungsberichte von besagten Prominenten, die ihre Zuneigung zum Yoga offenbarten, wurden viele Yoga Arten mit anderen Körperpraktiken (wie Aerobic, Tanz, etc.) verbunden und so entstanden Formen wie Fitness Yoga oder Yoga Gymnastik. Selbst Kurse im Lach Yoga werden angeboten.

Es wird deutlich, dass das Interesse am Yoga hier bei uns in erster Linie bei der Stressbewältigung und bei der Hilfe zur Linderung von körperlichen Problemen liegt. Zum Zeitpunkt der Studie in 2001 wurden sogar die Krankenkassen im Bereich der Gesundheitsförderung aktiver. Das heißt, dass immer mehr gesetzliche Krankenkassen die Kosten eines Yoga Kurses bis zu 80% übernehmen oder sogar selbst Kurse anbieten.

Ein Bestreben nach einer Ich-Stärkung ist zu ebenfalls zu erkennen. Doch machen Sie nicht den Fehler zu glauben den Yoga gleich weitergeben zu können. Dies ist  nämlich für einige Neulinge ein wichtiger Beweggrund, Yoga zu praktizieren und es macht die Yoga Gurus der Szene verständlicherweise wahnsinnig. Laut Experten wäre 20 Jahre zuvor diese Ich-bezogene Einstellung kaum anzutreffen gewesen. Menschen wie Fuchs kritisieren hierbei, dass für viele Menschen “Muskeln” und “Ego” dank Yoga wachsen sollen, die spirituellen Dimensionen dabei aber leider viel zu sehr ausgeblendet werden. Dies sei eine sehr negative, moderne und westliche Entwicklung des Yoga.

Schaut man über den Tellerrand in das Ursprungsland Indien und vergleicht es mit dem Deutschen Yoga, fallen merkliche Unterschiede auf. Primär interessant ist festzustellen, dass 80% aller Teilnehmer von Yoga Kursen Frauen sind, wobei in Indien überwiegend Männer Yoga praktizieren! Die Gründe hierfür sind vielschichtig, aber da Yoga (nehmen wir den Hatha-Yoga außen vor) auch als sehr sanfte, spirituelle Welt und als Frauenstammtisch gesehen werden kann, ist dieser Verlauf vielleicht einleuchtender. Doch seien wir an dieser Stelle nicht zu sarkastisch und geben zu, dass (erfreulicherweise) beobachtet wird, dass nach dreijähriger Yoga Praxis sich die Prioritäten verändern. Die Selbsterfahrung und die Bewusstseinserweiterung stehen dann auch wieder im Vordergrund.

Ein größerer Unterschied im Gegensatz zu Indien wiegt allerdings schwerer: Die Weitergabe von Yoga erfolgt in Deutschland (meist) ohne persönlichen Lehrer (Guru). Hiermit kann sogar das Unterrichtsmedium wechseln, von persönlich zu “do-it-yourself Verfahren” durch Lehrbücher etc. – dies würde dem Sinn von Yoga nun wirklich nicht entsprechen.

So, nun liegt es bei Ihnen, ob Sie sich in den Strudel von Yoga mit hinein bewegen!?

Ich denke einen Versuch ist es wert!

Literatur und Bildnachweis:

-  Christian Fuchs: Yoga in Deutschland: Rezeption, Organisation, Typologie. Stuttgart [u.a.], 1990.

- Yoga in Deutschland, Christian Fuchs, in: Bergunder, Westliche Formen des Hinduismus in Deutschland. Halle, 2006. 163-186.

- Doris Iding: Business-Yoga: entspannt dem Berufsalltag gewachsen sein. München, 2005.

- Andrea Ulbrich: Yoga: von den indischen Wurzeln zur westlichen Bewegung. Saarbrücken, 2006.

- Bild 1

- Bild 2


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