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Die historischen Wurzeln des tibetisch buddhistischen Tantra

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Etwa 1300 Jahre nach Buddha Shakyamuni, (http://www.theravada-dhamma.org/blog/?p=6802) dem Begründer des Buddhismus, fand dessen Lehre unter Einfluss des legendären Mahasiddhas Padma Sambhava (wörtlich dem Lotusgeborenen) Einzug in Tibet. Wobei er diese mit speziellen tantrischen Techniken verknüpfte, um die anspruchsvolle indische Philosophie Buddhas dem Bergvolk der Tibeter zu vermitteln. Die dem tibetischen Bönkult vergleichbaren schamanischen Praktiken verbreiteten sich im Zuge der Chinesischen Invasion 1959 und der damit einhergehenden Flucht tibetischer Lamas (buddhistischer Gelehrter) ebenfalls in der westlichen Welt (vgl. Allen S. 201).

Die historischen Wurzeln des Tantra

„Die tibetische [buddhistische] Geschichtsschreibung [Tibets] beginnt mit dem Einzug des Buddhismus im 9.  Jh. n. Chr.” (Allen, 1981, S. 182)

Zuvor galten Tibeter als sehr kriegerisches, auf der Bön-„Religion“ basierendes Volk. In diesem tibetischen Schamanenkult sind “magische Rituale” zur “Geisterbeschwörung” oder gar zur vermeintlichen Kontrolle elementare Kräfte, wie die Herbeiführung tödlicher Unwetter, Bestandteil des  Glaubens. Diese als sehr machtvoll beschriebene oftmals zerstörerische Form der “Magie”, beziehungsweise der damit verbundene Kampfgeist der Tibeter, verhinderte über Jahrhunderte hinweg jegliche Verbreitung buddhistischer Lehre in Tibet. Dessen Begründer Buddha Shakyamuni zog um etwa 500 v. Chr. mit einer kleinen Schar von Wandermönchen umher, um seine Lehre des Dharma zu verbreiten. 100 nach Buddha (ca. 400 v. Chr.) fand ein erstes Konzil statt, bei dem Buddhas mündliche Lehren erstmals kanonisiert, auf Palmblättern verschriftlicht und weiterhin kollektive Ordensregeln definiert wurden, auf denen der als Theravadha bezeichnete Buddhismus beruht. Von Südindien über Sri Lanka, Burma,  Thailand und Indonesien verbreitet, entwickelte sich aus dem Theravadha schließlich der Mahayana-Buddhismus in China und Japan. In dessen Kanon wurden neben Buddhas Lehren weitere spirituelle Aussprüche buddhistischer Gelehrter in Versform (Sutras) integriert. Zahlreiche buddhistische Klöster und Universitäten entstanden in dieser Blütezeit des Buddhismus. Doch erst im 8 Jh. n. Chr. etablierten sich buddhistische Lehren unter Schirmherrschaft des damaligen tibetischen Königs Trison Detsan in erbitterter Konfrontation mit dem regionalen Bön-Kult in Tibet. Auf dessen Fürbitte hin soll der legendäre Mahasiddha Padma Sambhava mit Hilfe “übermenschlicher Fähigkeiten” (Siddhis) die zuvor unbesiegbaren “Bön-Zauberer” bezwungen haben, woraufhin er dem ungestümen Bergvolk der Tibeter  Buddhas Lehre der guten Taten (Dharma) unterbreitete. Padma Sambhava, aus religionswissenschaftlicher Perspektive ein linkshändiger Tantriker, der jahrelang auf Friedhöfen in Behausungen aus Knochen gelebt und die Opferspeisen  der Toten gegessen haben soll, wird auch als Mitstudent von Buddhas Lieblingsschüler und Nachfolger Ananda  gesehen und wurde folglich laut buddhistischer Auffassung über 1300 Jahre alt. Ein solch fulminanter Mythos über Padma Smabhava soll u.a. seine überaus exzellente und unverfälschte Kenntnis sämtlicher Aussprüche Buddhas legitimieren. Damit erscheint er als idealer Begründer der tibetisch buddhistischen Tradition, welche sich vom Teravada- und Mahayana-Buddhismus durch die tantrischen Praktiken des Vajrayana unterscheiden lässt. Zusammenfassend: Etwa  500 v. Chr. begründete Buddha seine Lehre, welche sich zuerst als Theravada (Hinayana) Buddhismus über Sri Lanka, Burma, Indonesien und Thailand verbreitete, in China und Japan als sogenannter Mahayana-Buddhismus Erweiterung erfuhr und ca. 800 n. Chr. mit Hilfe des legendären indischen Tantrikers Padma Sambhava als an schamanische Rituale der tibetischen Bön angepasste Variante des Buddhismus in Tibet erblühte.

Die neun Stufenlehre des tibetischen Buddhismus [der Nyingma-Schule]

So statuiert der tibetische Buddhismus neun Stufen der Lehre des Dharma (vgl. Allen, 1982, S. 198). Die erste Stufe wird hierbei dem Theravada zugesprochen. Auf dieser sorge sich der Praktizierende lediglich aus egoistischen Beweggründen um seine persönliche Erleuchtung mit dem Ziel, dem stetigen Kreislauf von Wiedergeburt und Tod (Reinkarnationslehre) zu entkommen. Hingegen stellt die zweite Entwicklungsstufe das Mahayana (großes Fahrzeug) dar. Auf dem Pfad des Mahayana soll jeder Gläubige gemäß seines Bodhisattva-Gelübdes nicht eher ins Nirvana eingehen, solange nicht jedes fühlende Wesen erleuchtet ist (was unter anderem auch Pflanzen und Tiere einschließt). Die hierauf folgenden sechs Stufen heißen Vajrayana, welche auch als Tantrayana bezeichnet werden. Sie sind unterteilt in je zwei äußere, zwei innere und zwei feinstoffliche Ebenen. Die fünfte und sechste Stufe des Vajrayana umfassen die höheren Tantraklassen des tibetischen Buddhismus, dessen praxisbezogene Lehren lediglich Eingeweihten vorbehalten sind und vergleichbar zum hinduistischen Tantra als spirituelle Techniken zur Erlangung von Erleuchtung verstanden werden, so beispielsweise die 6 Yoga des Naropa.

Dieser Zustand wird als nondual beschrieben, somit bestehen keine Gegensätze wie gut oder schlecht, links oder rechts und es wird die Kultivierung von nicht wertendem Gleichmut und daraus resultierendem Mitgefühl sowie Weisheit laut buddhistischer Lehre generiert (vgl. Thubten Yeshe 1975-1983, Übers. Wellnitz 1999, S.  37). Die neunte Stufe definierte Padma Sambhava als Dzog Chen, die absolute Vollkommenheit (vgl. Allen, 1982, S. 199). Auf dieser letzten Stufe vollziehen im Laufe der Jahre geläuterte und in spirituellen Praktiken geübte Tantriker beispielsweise Rituale, welche als Dzog bezeichnet werden, in denen ebenfalls aus dualistischer Perspektive  unreine Gegenstände wie Kot, Urin, Sperma und Menstruationsblut Verwendung finden, sowie sexuelle Handlungen als Mittel zur Überwindung weltlicher Gegensätze unternommen werden. Nach Annahme westlicher Praktizierender soll so letztlich in den Zustand der wertungsfreien, gleichmütigen Nondualität eingetreten werden. In abgemilderteren Varianten tibetisch buddhistischer Orden werden den tantrischen Gottheiten (wie beispielsweise Vajrayogini) sogenannte innere (imaginierte) Opfer in einer breiten Schädelschale dargebracht.

“Diese Substanzen [in der Schädelschale] bestehen aus den »Fünf Arten Nektar« – Exkrement, Mark, Samen, Blut und Urin von menschlicher Herkunft.” (Beer, 2003, S. 304)

Buddhistische Schulen und Transformationen im Westen

Sambhavas Schule wird auch als Nyingma Sekte bezeichnet, was „Die Alte Schule“ bedeutet (Allen, 1982,S. 187), denn im Laufe der Zeit entstanden aus Meinungsverschiedenheiten tibetischer Lamas (buddhistische Lehrer) vier Hauptströmungen des tibetischen Buddhismus: Die Nyingma, Kargyud, Gelupga und die Sakya Schule. Diese beinhalten weitere Untersekten, die oftmals nach ihrem spirituellen Oberhaupt benannt sind. So ist der Karmapa zum Beispiel das Oberhaupt der Karma Kagyud Sekte. Der ersten von Padam Sambhava gegründete Nyingma-Schule stellte sich seitens tibetischer Gelehrter bald der Vorwurf entgegen, zu sehr dem vormaligen Bönkult zu ähneln - da bei den Nyingmas oftmals traditionelle Bönriten lediglich entgegengesetzt ausgeführt werden. Umkreisen zum Beispiel “Bönmagier” ihre Heiligtümer gegen den Uhrzeigersinn, gehen Schüler der Nyingma Schule rechtsherum. Ebenso finden viele magische Praktiken der Bön in der Nyingma-Tradition Verwendung, wie beispielsweise Geisterbeschwörungen, wobei Orte mittels Mantren rituell gereinigt und negative Kräfte gebannt werden sollen. Ähnlich “pragmatische” Techniken finden in der Kagyud- und der Sakya-Sekte Verwendung. Hingegen stellen die Gelupga eine stark wissenschaftlich orientierte Ausprägung des tibetischen Buddhismus dar, die sich erst im 13. Jahrhundert nach Christus formierte (vgl. Allen,1982, S. 193). Ihre oftmals analytische Betrachtungsweise der Dinge bildet hierbei einen rational philosophischen Gegensatz zu den Riten der übrigen Schulen.

Der gewaltsame Einmarsch des säkularen Chinas unter Mao 1959 und die damit verbundene Flucht tibetischer Lamas nach Nordamerika, Kanada und Europa sollte eine erneute Transformation des Buddhismus bewirken. (vgl. Allen, 1982, S. 199 f.). 

Literatur:

Marcus Allen, Tantra für den Westen, 1982
Robert Beer, Die Symbole des tibetischen Buddhismus, 2003

Lama Thubten Yeshe, Inneres Feuer, Übers. Claudia Wellnitz, 1999


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