Es gibt viele Versuche zu erklären, was Tantra ist. Es gibt Leute, die versuchen zu erklären, was Tantra im ursprünglichen Raum, also Indien, bedeutet. Dann gibt es aber auch Leute, die im Westen versuchen, diese religiöse Strömung zu erklären. Wenn man also fragt, was Tantra nach Francis King ist, muss man als erstes einmal sagen, dass Francis King kein eingeweihter indischer Tantriker ist, sondern ein westlicher Betrachter vom Tantrismus. Dabei muss man bedenken, dass er westliche Tantratraditionen genauer angeschaut hat.
![http://www.hood.de/auction/32314191/francis-king-tantra-als-selbsterfahrung.htm](http://www.hood.de/img1/full/1485/14850584.jpg)
Tantra als Selbsterfahrung
Er sagt, dass Tantra vor allem ein Weg des Handels ist und seine Gültigkeit damit steht und fällt, ob die versprochenen Wirkungen eintreten. Tantra sei eine Technik, oder mehr noch ein System, von miteinander verknüpften Techniken (Vgl. Tantra als Selbsterfahrung, S.21).Eine große Rolle spielt, nach King, die Dualität bzw. die Polarität, die sich seiner Meinung nach in vielen Aspekten zeigt. Bereits die Anatomie des Menschen zeige einen Grundgedanken der Welt. Es sei auffällig, dass unser Körper dual angelegt ist, äußerlich mit z.B. zwei Augen, zwei Beinen oder zwei Händen, sowie innerlich mit z.B. zwei Nieren oder zwei Herzklappen. Er verlangt nicht, dass man diesem eine mystische Bedeutung zuweist, sondern es geht ihm erst mal nur darum, dass diese Dualität existiert. Er sagt aber auch, dass man bei ein paar Organen, die doppelt angelegt sind, einen „schwachen Abglanz des von Shiva und Shakti dargestellten ewigen „Schöpfungsreigen“” erkennen könnte. Das beutet in diesem Fall, dass die Einzelstücke der Organe nicht völlig unabhängig arbeiten, sondern dass sie durch ihre Koexistenz besser arbeiten. Man kann mit einem Auge sehen, doch die Sehqualität durch ein zweites Auge verbessert sich enorm.Die seelische Struktur des Menschen bringe uns dazu, alles in Gegensatzpaaren zu sehen, wie z.B. gut und böse. Es gebe die Theorie, dass dieses durch die zwei biologischen Geschlechter kommt. Gäbe es mehr Geschlechter, würden wir nicht in Paaren denken, sonder, wenn es drei oder 4 Geschlechter gebe, würden wir in Dreier- oder Vierergruppen denken.
![Shiva und Shakti](http://www.formentera-finka.de/0106-hj_shiva_shakti.jpg)
Shiva und Shakti
Er meint, dass man anhand von alten religiösen Vorstellungen erkennen kann, dass diese Dualität schon immer im menschlichen Gedankengut war. Er stellt sogar direkte Vergleiche zwischen dem göttlichen Geschwisterpaar Geb-Nuit und Shiva-Shakti an. Seiner Meinung nach stell die Beziehung zwischen Geb und Nuit die gleiche Beziehung dar, wie sie laut Tantra zwischen Shiva und Shakti herrscht. Solche Vergleiche muss man aber mit Vorsicht genießen, da sie höchstens nur sehr oberflächlich getroffen werden können.
King führt an, dass sich auch Tarot hauptsächlich mit der Auslegung von Gegensatzpaaren beschäftige. Er sagt, dass Tarot nicht aus dem Tantra kommt, versucht aber anhand dessen, tantrische Phänomene zu erklären.
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Die Kraft
Anhand der Karte „Die Kraft“, könne er das Prinzip Shivas und Shaktis wiedererkennen. Diese Karte wird oft mit einer Frau und einem Löwen dargestellt. Die Frau öffnet oder schließt das Maul des Löwen kraftvoll. Damit bezieht sich die Kraft auf die Frau und nicht auf den passiven Löwen. Dies soll die als aktive geltende Kraft Shaktis und die passive Form Shivas dar stellen.Die Karte „Die Sterne“ soll seiner Meinung nach unmissverständlich auf Shakti verweisen. Ältere Darstellungen zeigen eine nackte Frau, die am Rande eines Flusses, teilweise auch in dem Wasser, kniet. In den meisten Darstellungen berühre sie nur mit einem Knie den Boden. Durch ihre Arme sieht ihre Körperhaltung etwas wie ein Hakenkreuz aus. Aber hier ist keine versteckte Botschaft der Nazis zu entdecken. Bevor diese dieses Zeichen für ihre Zwecke entfremdeten, hatte es oft die Bedeutung von den dynamischen Kräften der Natur. Desweiteren gießt die Frau aus zwei Vasen Wasser in den Fluss. Einige Interpreten sollen behaupten, dass die Frau auf der Karte die ägyptische Sternengöttin Nuit sei. King interpretiert die Karte so, dass die Vasen für die unablässige „Sternenmilch“ spendenden Brüste der freigebigen Shakti, der „Großen Mutter“ der gesamten phänomenalen Welt, stehen.
Ob solche Vergleiche von tantrischen Vorstellungen und Tarotkarten überhaupt zulässig sind, ist fragwürdig. Denn wie er selber sagt, ist die Wahrscheinlichkeit äußerst gering, dass auch nur im Entferntesten bei der Gestaltung an solche Interpretationsmöglichkeiten gedacht wurde.
Er spricht auch von einem anderen Grundprinzip des Tantras, vom Zusammenspiel von Shiva und Shakti. Er erklärt dies damit, dass Shiva die Form und Shakti die Kraft darstellt. Das heißt, sie sollen sich einerseits in den Elementen der Wirklichkeit verkörpern, sind aber auch die Kraft, die diese Elemente miteinander verknüpfen.
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Kali
Sie seien die Schöpfung und die Zerstörung. King berichtet, dass Shakti eine Doppelrolle zukommt. Sie sei zum einen die „Alles-Erzeugerin“ und die „Alles-Zerstörerin“, sie sei schön und schrecklich zusammen. Im Hindupantheon wird sie als die schöne Göttin Parvati und die sich selbstopfernde Sati dargestellt. In anderen Fällen aber auch wieder als die schwarze Göttin des Todes Kali und die Mutter Durga, die den Kindern die Pocken bringt. Sie sei die Schönheit und Zerstörung, Leben und Tod.
Francis King führt an, dass es hinduistisches und buddhistisches Tantra gibt. Wie schon gesagt interpretieren die hinduistischen Tantriker das Männliche als passiv und das weibliche als aktiv. Bei den Buddhisten ist dies allerdings genau anders. Sie sind der Meinung, dass das Männliche das aktive und das Weibliche das passive ist. Er meint, dass allgemein angenommen wird, dass Tantra buddhistischen Ursprungs ist. Da die ältesten überlieferten tantrischen Texte buddhistisch sein, sei dies am wahrscheinlichsten. Wenn dies stimmt, müsse man annehmen, dass die genannte “umgedrehte” Geschlechterverteilung aus dem hinduistischem Bedürfnis komme, Tantra in Einklang mit dem Kult der „Großen Mutter“ zubringen.
King meint, dass die Theorie von Shashibhusan Dasgupta zur Entstehung von Tantra am wahrscheinlichsten ist. Er meint, dass alle Untergruppierungen des Tantras aus einem uralten religiös-yogischen Sexualkult herleiten und dass die buddhistische, beziehungsweise eine hinduistische Version des Kultes entstand, als einzelne Tantriker, die von den Lehren des Buddhismus beziehungsweise Hinduismus beeinflusst waren, anfingen, philosophische Spekulationen anzustellen. King meint, dass es wahrscheinlich sei, dass die, wie er sagt, wenigen „theologischen“ Elemente erst nachträglich dazu kamen.
Im Folgenden behauptet er, dass die tantrischen Texte sich nur sehr wenig mit dem Tantra beschäftigt. Laut King gehören Themen wie Astrologie, Mandalas und „Wortmagie“ nicht wirklich zum Tantra. Wie er sagt, bilden sie höchstens eine Schale um den Kern von Tantra. Was jedoch für ihn in den inneren Kern des Tantras gehört, sind wieder einmal die Sexpraktiken. Er sagt, dass der Kern aus den psycho-physischen Techniken besteht, die hauptsächlich aus der Polarität im Allgemeinen und der menschlichen Sexualität besteht.
Hier zeigt sich der deutlich westliche Einfluss auf King. Sexualität wird immer wieder genannt. Er gibt wie gesagt zwar zu, dass sich nur ein winziger Teil der tantrischen Texte überhaupt mit Sex beschäftigt, aber es ist eben das, was im Westen oftmals mit Tantra in Verbindung gebracht wird. Auch er kann sich davon nicht frei machen. Tatsache ist aber, dass es sexuelle Riten im rechtshändigen Pfad, wie er genannt wird, nicht gibt. Diese Form des Tantra stellt den Großteil der Gläubiger des Tantras. Bei ihnen werden solche Praktiken höchstens symbolisch ausgeführt. Sexuelle Praktiken im ursprünglichen Tantra gibt es nur im linkshändigen Pfad, der nur einen sehr geringen Teil der Anhänger repräsentiert. Die Vorstellungen, die bei uns in vielen Köpfen über Tantra existieren, haben oftmals nichts mit der südasiatischen Realität zu tun.
Deshalb ist es in jedem Fall wichtig, sich anzuschauen, wer solche Texte geschrieben hat. Gerade bei dem Thema Tantra, da es doch noch sehr wenig erforscht wurde und noch starke Vorurteile bestehen. Das wichtigste, was man beachten muss, ist, dass es einen großen Unterschied zwischen Tantra im Westen und Tantra im indischen Raum gibt.
Quellen:
King, Francis (1987): Tantra als Selbsterfahrung, Heyne Verlag
Bildquellen:
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http://astrowoche.wunderweib.de/tarot/rubrik-tarot/